Malerisch ist er ja schon, der Kirchturm im Reschensee. Doch dort, wo die Kirche aus dem Wasser ragt, standen bis 1950 auch noch andere Gebäude. Es gibt viele Gruselgeschichten über die
gefluteten Dörfer, die dem Stausee weichen mussten. Die Palette reicht von Menschen, die ihre Heimat nicht verlassen wollten und im See ertranken bis hinzu Geistern, welche in den Ruinen ihr
Unwesen treiben.
Hirngespinste hin oder her, die einzig wahre Schauergeschichte ist die der Zwangsenteignung der Bewohner durch die faschistische Regierung im Jahr 1940. Lächerliche Entschädigungszahlungen
inbegriffen.
Interessiert aber irgendwie niemanden so wirklich. Unterwassergespenster sind einfach sympathischer als faschistische Schreckgespenster. Ist ja auch schon lange her.
Der berühmte Kirchturm ist eigentlich auch kein Mahnmal für die "Umgesiedelten", sondern stand damals schon unter Denkmalschutz. Allein deswegen steht er noch.
Glück für den heutigen Tourismus.
Auf keiner der Touriwebsites darf das Wahrzeichen der Region fehlen. Manche verweisen sofort auf die traurige Geschichte des Turms, während andere ihn als das romantische "must-see" anpreisen. Gut, im Nachsatz kommt dann schon noch, dass alles eigentlich gar nicht so romantisch ist.
Direkt am See, neben den 4 Parkplätzen für Omnibusse, steht eine festinstallierte Kamera. Diese erstellt auf Knopfdruck den Beweis, dass man vor diesem versunkenen Kirchturm in
Dingsda stand.
Was bei uns wohl los wäre, wenn ein Tourismusverband eine Selfiekamera vor einem Machwerk aufstellen würde, dessen Grundlage in der NS-Zeit geschaffen wurde...
Eigentlich wollte ich mich in der Zeit am Reschensee doch dem Skifahren widmen, bzw. es wieder auffrischen. Also genug der Tristesse und ab auf die ökologisch sinnvoll beschneite
Piste.
Bevor es wirklich auf die Piste geht, stehe ich in einem Plastiktunnel auf einem Gummiförderband zwischen Eltern mit Kleinkindern und ein paar vereinzelten Kandidaten wie mir, die es trotz ihres
hohen Alters nochmal wissen wollen. Überraschenderweise klappt es dann doch ganz gut, dieses Skifahren. Nach nur einem harmlosen Sturz verbringe ich mehr Zeit im Plastiktunnel, dessen
gepolsterte Ränder von umgefallenen Kindern gesäumt werden, als auf dem kurzen Übungshang.
Es wird wohl Zeit, sich in die harte Realität auf der blauen Piste zu wagen. Natürlich erstmal bequem per Sessel.
Während meinem ersten, angsterfüllten Versuch, heil den Berg runterzukommen, fühle ich mich wie auf meiner ersten Autofahrt nach der bestandenen Führerscheinprüfung. Frei und doch nervös.
Bloß keinen dummen Fehler machen.
Es überholen mich 6-jährige mit Skilehrer.
Als ich ungefähr eine halbe Stunde nach Josua wieder am Lift ankomme, bin ich zwei Kilo leichter, bei jeder noch so kleinen vereisten Stelle tausend Tode gestorben und nochmal von einer
Gruppe Kinder überholt worden.
Trotzdem nichts gebrochen. Olé olé.
Unweigerlich mischt sich etwas Freude in den Gefühlsbrei aus Nervosität, Anspannung und Verbissenheit und sorgt so dafür, dass die Angst vor dem Ende des Lifts geringer wird.
Innerhalb der nächsten Stunde wiederholt sich das mehrere Male und plötzlich überwiegt die Freude. Klappt ja doch so gut wie erhofft. Dann verdreht sich mein Ski.
Warum stehen die Leute eigentlich immer an den ungeschicktesten Stellen auf der Piste? Kinder dürften sowas ja aber die stehen meistens am Rand. Scheint so, als würde die Verkehrserziehung
in Kindergarten und Grundschule ihre Früchte bis auf die Skipiste tragen. Also nein, es sind keine Kinder sondern hochgewachsene Menschen, die hinter Kuppen oder Schneehügeln stehen und
darauf warten, dass mit hektischen Ausweichbewegungen auf ihre Anwesenheit reagiert wird.
Platz da, hier stehe ich!
Ich gebe nach, schwinge hölzern um die Hindernisse herum und steuere direkt Richtung Streckenbegrenzung, welche aus aufgehäuftem Kunstschnee und Bäumen besteht. Beim hektischen Versuch die
Richtung erneut zu ändern muss ich mir eingestehen, dass es dafür nun schon zu spät ist. Einen Versuch unternehme ich trotzdem noch und es passiert. Graziös segle ich nach vorne ab. Die
Flugstunde endet, als die Bindung erkennen muss, dass wir nicht beim Skispringen sind. Ich lande im weichen Schneehaufen. Ohne Telemark. Amen.
Der erfahrene Reiter weiß: Sofort wieder rauf auf's Pferd. Meine Affinität zu Pferden ist zwar überschaubar, trotzdem werden die Ski wieder unter die
Füße geklemmt und der restliche Hang gepflügt. Nach einer weiteren Fahrt meint Josua, dass es sinnvoller wäre eine Pause zu machen. Recht hat er. Ein Lumumba auf den ersten richtigen
Sturz.
So sitzen wir da also mit Heißgetränk und Helmfrisur und beobachten das Treiben. Während einem Spaziergang durch die Innenstadt ist das bekanntlich ja das Beste. Hier ist es noch viel
besser. Aufgetakelte Kunstblondinen, die ihren Helm nach dem Aufstehen aus ihren Haaren formen, Männer mittleren Alters, die mit erhobener Hand wildfremden Jugendlichen eine Szene machen,
weil sie zu knapp vor ihnen zum Stehen gekommen sind oder Musikanten denen man Geld geben würde damit sie aufhören. Kabarett ist ein Witz dagegen.
Nach unseren Pistenabenteuern sind wir abends immer so platt, dass wir anstelle von Nachtspaziergängen Galileo glotzen. Wusstet ihr, dass es verschiedene Maissorten für verschiedenes
Popcorn gibt und dass man in Belgien in einem Organ-Hotel wohnen kann? Wieder was gelernt.
Am letzten Abend kriegen wir es dann doch noch gebacken. So eiern wir also mit unseren brennenden Beinen zum See. Angekommen baue ich das Stativ auf. Das steht nicht im Wasser
meint Josua. Dafür tut es der Turm sage ich. Flachwitzalarm.
Als geborener Lehrer erkläre ich, warum man das Bild jetzt 15 Sekunden belichten muss und dass wir das beim Lightpainting auch so machen. Prompt nutzt Josua sein Handy dazu, um nicht ganz
jugendfreie Bilder ins Bild zu malen. Momente des echten Lernens. Sieht trotzdem lustig aus.
Auf dem Rückweg wollen wir noch einen Abstecher zur kleinen Kapelle auf dem Hügel machen. Nachdem wir zwei Gatter geöffnet haben und mitten auf einer Viehweide stehen, gestehen wir uns
ein, dass wir uns verlaufen haben. Rückzug. Beim Schließen des zweiten Gatters eilt eine keuchende Gestalt auf uns zu. Sie schreit: HO! Was dud's ihr do?! Fragen wir
uns auch...Wir wollten die Kapelle fotografieren und haben uns verlaufen. Bloß gut, dass ich das Stativ in der Hand halte, sonst glaubt einem diese Aussage nachts kein
Mensch.
Ahso, na doann ist's joa guad. Wisst's ihr huir breched regelmäß'g Leid oin. Wart's ihr geschtern au scho huir?
Ne, haben uns nur heut
verlaufen.
Ah, scho recht. meint er, schließt das Gatter und weist uns den Weg zur Kapelle. Sehr freundlich.
Jo (Sonntag, 10 Januar 2016 18:53)
Ich sitze lachend vor diesem Eintrag! Herrlich! Auch die Bilder...wie immer!